Ein Blick hinter die Kulissen des französischen Weinuniversums mit Michel Tolmer, dem Illustrator, der die Naturweinbewegung mitgestaltet hat. Ein Interview von Bernd Kreis.
Michel Tolmer ist eine Ikone der französischen Weinszene – ein Künstler, dessen Arbeiten tief in der Welt des handwerklich erzeugten Weins verwurzelt sind. Als Illustrator hat er nicht nur zahlreiche Etiketten für renommierte Winzer entworfen, sondern mit seinen humorvollen Plakaten und Comics auch das Bild des französischen Weins geprägt. Sein Stil ist unverwechselbar: feiner Witz, oft mit Wortspielen gespickt, die in Frankreich besonders geschätzt werden.

>Seine enge Verbindung zur Naturweinbewegung begann in den 1990er Jahren, als er erstmals mit Winzern wie Pierre Breton und Charles Guerbois in Kontakt kam. Er begleitete die frühen Pioniere des Naturweins und verlieh ihrer Bewegung eine visuelle Identität, die bis heute nachwirkt. Sein Kult-Comic “Mimi, Fifi & Glouglou” bringt die Weinszene mit einem Augenzwinkern auf den Punkt – und der vierte Band erscheint im November.
Unsere Freundschaft mit Michel reicht weit zurück. In den späten 1990er Jahren entdeckten wir seine Serie “Vin d’Yeux” und waren sofort fasziniert. 2008 präsentierten wir eine Ausstellung seiner Werke in unserer Weinhandlung, für die er die Grafik “Haute Gouture” entwarf. Auch 2021 unterstützte er uns großzügig bei einer Fundraising-Aktion zugunsten französischer Winzer, die vom Frost hart getroffen wurden – mit einer eigens dafür bereitgestellten Grafik.
Im folgenden Interview spricht Michel Tolmer über seine Arbeit, seine Inspirationen und seine Sicht auf die Weinwelt.
Interview mit Michel Tolmer
Bernd Kreis: Wenn du ein Wein wärst, welcher würde dich am besten repräsentieren?
Michel Tolmer: Das ist eine Fangfrage, weil sie ein wenig mit Narzissmus zu tun hat. Wenn ich “Champagner” sage, bin ich überheblich; wenn ich “Côtes de Toul” sage, bin ich übertrieben bescheiden. Vielleicht ist die eigentliche Frage eher: Was mag ich am meisten?
BK: Ich weiß es nicht, ich wollte dich einfach zum Nachdenken bringen.
MT: Ich würde mich mit Cabernet Franc identifizieren. Mit dieser Rebsorte habe ich den Wein wirklich entdeckt.
BK: Also die Loire… Sie spielt auch eine große Rolle in deinen Werken, oder?
MT: Ja, absolut. Die ersten Winzer, die ich in Paris kennengelernt habe, kamen von der Loire. Da waren Pierre Breton und ein anderer, Charles Guerbois, der in der Touraine arbeitete, bevor er seinen Beruf wechselte und Pilot wurde. Das war in den 90ern. Er war seiner Zeit voraus, dachte weiter als andere. Noch bevor man über Naturwein sprach, machte er bereits welchen. Er war mit Pierre Breton befreundet, und sie zogen gemeinsam durch Paris, um ihre Weine zu verkaufen. So habe ich sie kennengelernt. Das erste Weinetikett, das ich gezeichnet habe, war übrigens für Charles Guerbois.

BK: Wie alt warst du damals?
MT: So um die dreißig…
BK: Warst du da schon in der Weinwelt tätig?
MT: Ich hatte Grafikdesign studiert und wollte eigentlich Art Director werden. Es war etwas anderes, aber ich habe dabei gelernt, mit Bildern zu arbeiten und sie zu gestalten. Ich mochte Cafés und Bistros sehr, habe dort viel beobachtet. Und in Bistros trinkt man eben auch Wein. Anfangs trank ich sehr einfache, manchmal ziemlich mittelmäßige Weine. Doch sobald ich etwas Besseres probierte, machte es Klick. Dann noch etwas Besseres, und so weiter. Ich fühlte mich von dieser Welt angezogen, nicht nur wegen der Wirkung des Weins, sondern wegen allem, was ihn umgibt.

BK: Hast du dann direkt angefangen, in der Branche zu arbeiten?
MT: Ich traf Leute, die meine Dienste brauchten. Winzer ebenso wie Gastronomen brauchen Bilder. Nach und nach gaben sie mir Aufträge, und so begann ich, immer mehr Winzer kennenzulernen.
BK: Hast du jemals an deinem Talent gezweifelt? Und falls ja, wie hast du diesen Zweifel überwunden?
MT: (Lacht) Kann man nicht mal an einem Sonntag in Ruhe gelassen werden? Nein, im Ernst – ich habe nie daran gezweifelt, dass ich ein Genie bin! (Lacht) Aber natürlich gibt es immer eine unterschwellige Angst, dass das, was man macht, bedeutungslos sein könnte. Man kann sein eigenes Talent nicht wirklich messen. Ich hatte immer das Gefühl, Talent zu haben, aber es hängt auch von den Gelegenheiten ab. Ich hatte das Glück, in einer Familie aufzuwachsen, die mir wertvolle Dinge mitgegeben hat. Mein Vater und mein Großvater waren im gleichen Bereich tätig. Ich wuchs umgeben von Büchern und intellektuellen Anreizen auf. Das prägt einen Menschen. Aber das hat nicht jeder.
BK: Deine Werke sind sehr vielfältig. Du gestaltest unter anderem viele Weinetiketten. Beeinflusst die Persönlichkeit eines Winzers deine Arbeit? Gibt es Winzer, mit denen du besonders gerne arbeitest?
MT: Natürlich. Ich arbeite besonders gern mit Winzern, deren Weine ich liebe. Aber das Wichtigste ist, eine visuelle Lösung zu finden. Am Anfang weiß man nie, wie man das Problem lösen wird. Man stützt sich auf die Persönlichkeit des Winzers, auf den Wein selbst – und auf das Bauchgefühl. Gleichzeitig finde ich es schön, etwas Nützliches zu tun. Schließlich ist das Gestalten von Weinetiketten keine überlebenswichtige Tätigkeit, verglichen mit Berufen wie Bäcker, Straßenkehrer, Arzt oder Anwalt. Aber es gibt mir eine kleine Rolle, eine Art Beitrag zur Welt des Weins. Ich helfe einem Winzer, seinen Wein sichtbar zu machen, und das gibt mir Zufriedenheit.
BK: Wenn du durch die Zeit reisen könntest, in welcher Epoche würdest du am liebsten Wein trinken – und mit wem?
MT: Ich hätte gerne die Keller von La Madeleine in den späten 80ern oder frühen 90ern erlebt. Aber vielleicht ist das eine dumme Idee, denn es könnte die Erinnerung zerstören, die ich daran habe. Es sind gerade diese ersten Eindrücke, die sich im Gaumen, im Gehirn und im Geschmack verankern. Ich erinnere mich an die Keller von La Madeleine als einen perfekten Ort, wo jede Flasche einzigartig und kostbar war.
Aktuelle Informationen:
Für weitere Einblicke in Michels Schaffen empfehlen wir einen Besuch seiner offiziellen Webseite: Glougeule Zudem ist er auf Instagram aktiv, wo er regelmäßig Einblicke in seine Arbeit und sein Leben gibt:@micheltolmer