Rioja Alavesa: Zu Besuch bei Ausnahmewinzerin Sandra Bravo

Sierra de Toloño – Finessenreiche Weine aus hohen Lagen

Sandra Bravo zeigt mit ihren hervorragenden Weinen seit einigen Jahren, welches Potential in der nördlichsten Region des Rioja steckt. Mit Sorgfalt, Aufmerksamkeit und handwerklichem Können bringt sie die unterschiedlichen Charaktere der Lagen und Terroirs zum Ausdruck. Wir haben Sie auf ihrem Weingut Sierra de Toloño besucht …

Sandra Bravos Weingut Sierra de Toloño liegt in Villabuena de Álava, das zur nördlichsten Region des Rioja gehört. Der Name ist Programm: Der hübsche Ort liegt inmitten sehr unterschiedlicher Weinbergparzellen, die sich über eine sanfte Hügellandschaft erstrecken. Allein das bürgt schon für Vielfalt, da die teilweise winzigen Parzellen auf unterschiedlichen Höhen liegen und jede anders ausgerichtet ist.

Idee und Ziel auf Sierra de Toloño ist es, bei den Weinen die individuelle Besonderheit jeder Parzelle herauszuarbeiten. Dabei zeigt sich die Vielschichtigkeit und Individualität der Lagen. Sandra Bravo verfolgt dieses Ziel kompromisslos und bringt damit jedes Jahr immer feiner ausgefeilte und charaktervollere Weine auf die Flasche. Seit Jahren wird sie durch Top-Kritiken aus der internationalen Presse bestätigt.

Villabuena – Kleinod mit langer Weinbautradition
Sandra Bravo zeigt uns eine ihrer Parzellen bei Villabuena de Álava, eine Dorflage auf etwa 550 Meter Höhe. Das Dorf selbst liegt schon 490 Meter hoch. Im Weinberg stehen über 80 Jahre alte Buschreben der Sorten Tempranillo, Graciano und einige weiße Rebsorten. Schon bei der Pflanzung wurden die Rebsorten aufeinander abgestimmt, die harmonische Zusammensetzung kann man in den Weinen von Sandra Bravos Linien Nahikun und Raposo schmecken.

Jeder einzelne Rebstock wird manuell bearbeitet und auf drei Triebe mit je ein oder zwei Knospen reduziert. Dabei wird darauf geachtet, das Blattwerk möglichst stehen zu lassen, um die Trauben vor Hitze zu schützen. Das soll den Tanninen etwas Kontur und Präsenz verleihen und die Säure für mehr Frische bewahren. „So wollen wir dafür sorgen, dass die Weine noch eleganter werden“, sagt Sandra Bravo.

Die Reben der Parzelle stehen auf sandigem Lehmboden. Sandra erzählt, dass der Boden steinhart wird und regelmäßig aufgelockert werden muss, nachdem es geregnet hat. „Dieser Weinberg hat etwas Besonderes“, fährt sie fort. „Er ist nicht besonders hoch, aber irgendwie sind die Pflanzen lebhafter, der Boden großzügiger. Das erste Licht am frühen Morgen und die Dämmerung am Abend sind hier unglaublich schön.“ Leicht zu glauben, wenn man die benachbarten Gärten, den Bach im Hintergrund den und den stillen Friedhof am Hang dahinter betrachtet.

Wildes Rivas de Tereso
Um Rivas de Tereso bewirtschaftet Sierra de Toloño weitere Lagen. Der Ort liegt wesentlich höher als Villabuena, auf 650 Meter. Die Böden sind deutlich karger, steiniger und eisenhaltiger. „Früher wurde der Wein hier direkt auf Kalkstein gepflanzt“, sagt Sandra. „Unglaublich.“

Überall wächst wilder Thymian, der den Duft und die Aromatik prägt. Außerdem gibt es in der Gegend Kaninchen. Man erkennt es an den abgefressenen Stellen an manchen Reben und an den Kaninchenkötteln. „Kaninchen gibt‘s hier tatsächlich sehr viele. Die fressen die jungen Triebe, da müssen wir sehr aufpassen“, meint Sandra.

Der Weinberg bei Rivas de Tereso bietet einen fantastischen Blick bis zur Sierra Cantabria im Norden und der Sierra de la Demanda im Süden. Sie rahmen das Rioja Alavesa ein und sorgen für das günstige Mikroklima der Region. „Diese natürliche Grenze nach Norden bietet Schutz gegenüber dem rein baskischen Klima. Dort ist es regnerischer, kälter und feuchter“, meint Sandra. „Die Barriere hemmt die Wolken und es ist etwas trockener. Und trocken ist perfekt für die Reben. Da müssen sie ein wenig kämpfen.“

Die Kühle und Trockenheit bringt der Cierzo, ein stetiger Wind aus dem Norden. „Er hilft uns sehr, da er gegen Botrytis schützt“, sagt Sandra mit Blick auf die Sierra Cantabria. „Die ökologische Arbeit bringt uns vor allem etwas in Bezug auf Gras und Kräuter.“

Die Klimaveränderung ist natürlich auch hier zu spüren. Es wird immer wärmer. Im kühlen Alavesa war das dem Weinbau bisher aber eher zuträglich. Während man im restlichen Rioja mit zu viel Trockenheit und Hitze zu kämpfen hat, entstehen hier in hohen Lagen immer noch feine und elegante Weine.

Biodynamisch in die Zukunft
Sandra Bravo bewirtschaftet ihre Weinberge seit Jahren biodynamisch. Das bedeutet fürs Weingut, die Umwelt viel mehr in die bisherige Arbeit mit einzubeziehen. In einer Ecke von Sierra de Toloño befindet sich ein großer Komposthaufen, der den Weinstöcken wichtige Nährstoffe zurückbringen soll. Zwischen den Rebzeilen wachsen Gräser und Kräuter, im Tal stehen Olivenbäume und Schachtelhalme. Laut Sandra schützen sie effektiv vor Pilzbefall.

„Seit wir biodynamisch wirtschaften, wachsen sehr viele Kräuter“, sagt sie. „Es wirkt fast, als würden wir sie säen, aber nein. Sie wachsen ganz von selbst.“ Mit der biodynamischen Arbeitsweise ist sie allerdings noch weitgehend allein in der Gegend. In den Nachbarparzellen sind kaum Gräser und Kräuter zwischen den Reben zu sehen.

„In manchen Jahren ist man sich nicht sicher, ob sich die viele Arbeit lohnt“, erzählt Sandra. „Im Hinblick auf die warmen Jahre 2022 und 2023 bin ich aber froh, biodynamisch zu arbeiten. In den schwierigeren Jahren zeigt sich, wie wichtig das ist. Die biodynamische Arbeitsweise macht es leichter, auf klimatische Veränderungen zu reagieren.“

Für Sandra beginnt alles mit der Rebe. Sie möchte bei jedem Arbeitsschritt das Kühle, die Frische der Lage und die Frucht bewahren. Es klingt, als ginge es ihr vor allem darum, nichts zu zerstören. Als ob alles bereits im Boden, im Klima und in der Rebe enthalten wäre.

Tempranillo, Garnacha und Co.
Überall im Rioja ist Tempranillo die Leitrebsorte, gefolgt von Garnacha und Graciano. Die Weißweine der Region werden hauptsächlich aus Viura gekeltert, in Südfrankreich und dem Penedès bekannt unter dem Namen Macabeu oder Macabeo.

Im Rioja Alavesa ist die Garnacha immer noch unterrepräsentiert. Viel davon wurde zugunsten der beliebteren Sorten Tempranillo oder Graciano gerodet. Aber auf Sierra de Toloño werden wieder neue Garnacha-Rebstöcke gepflanzt. Die Garnacha gedeiht gut in heißem Klima und auf trockenen Böden. Zukünftig dürfte das immer mehr von Vorteil sein …

Im Keller
Die Weinproduktion im Keller findet bei Sierra de Toloño auf zwei Ebenen statt. Im ersten Kellergeschoss befinden sich die Gärtanks, die großen Holzfässer und verschiedene Amphoren. Einen Stock tiefer stehen die Barriques. Nach der Gärung in Edelstahltanks reifen die Weine je nach Lage in 3000-Liter-Fässern, in Edelstahl, gebrauchten Holzfässern oder in Amphoren verschiedener Größe.

„Um die Reifeprozesse zu optimieren, kombiniere ich gern verschiedene Materialien wie Barrique und Beton oder Barrique und Amphore“, erklärt Sandra, als wir zur Probe des aktuellen Jahrgangs im zweiten Kellergeschoss stehen. „Ich bin ganz zufrieden. Es gab Jahre, da war es nicht einfach. Ich konnte aber die Frische erhalten, sogar verbessern.“ Sie schmunzelt, als sie auf ihre für die Gegend immer noch ungewöhnliche Arbeitsweise zu sprechen kommt. „Langsam fühle ich mich etwas freier in der Arbeit mit den Weinen. Anfangs gab es doch auch viel sozialen Druck.“

Die Produktion – Tradition und Moderne
Klassisch wird im Rioja viel mit amerikanischen und französischen Barriques gearbeitet. Die Qualitätseinteilung der D.O.C. Rioja beruht immer noch zu einem großen Teil auf der Reifedauer in Barriques. Je länger die Lagerung, desto hochwertiger der Wein, so die Formel.

Die moderne Stilistik ist fruchtbetonter und frischer. Der Geschmack soll weniger von der Reifung im Fass und der Produktion im Keller, mehr vom Terroir und der Traube beeinflusst sein. Barriques, insbesondere neue Fässer, sind bei den modernen Produzenten weniger gefragt. Die als veraltet empfundenen Qualitätskriterien der D.O.C. führen deshalb öfter zu Streit.

Handwerklich hergestellte Weine mit einem Ausbau in größeren Holzfässern, im Stahltank, Beton oder Amphoren dürfen lediglich als ‚Vinos genéricos‘ gekennzeichnet werden. Hier wird nur die Produktion kontrolliert, nicht die Art der Vinifizierung.

Sandra Bravo berührt der Streit um die Kriterien für die Qualitätsweinbezeichnung nicht so sehr. Sie verzichtet auch auf die zusätzliche Bezeichnung Rioja Alavesa. „Ich mache es mir da einfacher. Ob regionaler Wein, Orts- oder Lagenwein: Es ist jedes Mal der doppelte Papierkram.“ Stattdessen konzentriert sie sich lieber auf die Arbeit im Weinberg.

Einige etablierte Großweingüter vorwiegend klassischen Stils haben inzwischen einzelne Weine in ihrem Sortiment, die sie nach der neuen Methode herstellen. „Viele der größeren Bodegas möchten nach außen klein wirken und bringen jetzt ‚Vinos artesanos‘ auf den Markt“, sagt Sandra. „Ich erinnere mich noch. Als ich anfing, haben alle nur gefragt: ‚Wie lange war der Wein im Barrique?‘ Jetzt hat sich das gewandelt. Die Leute wollen etwas Besonderes und mehr Persönlichkeit im Wein.“ Ohnehin ist fraglich, wie handwerklich ein Wein sein kann, wenn die Produktion bei zehn Millionen Flaschen jährlich liegt.

Werdegang einer Ausnahmewinzerin
Sandra Bravo wuchs in Logroño auf, der Hauptstadt der Rioja-Provinz. Nach ihrem Studium der Önologie sammelte sie Erfahrung auf verschiedenen Weingütern in Frankreich, Neuseeland und Kalifornien. Danach arbeitete sie lange im Priorat, bevor sie 2012 in Alavesa ihre Bodega Sierra de Toloño gründete.

In Villabuena de Álava wie in den anderen Dörfern in der Gegend finden sich viele Weinproduzenten. Sandra Bravo gefällt das, der Zusammenhalt ist gut, sagt sie, man hilft sich und tauscht sich untereinander aus. „Jedes Dorf hat einen etwas anderen Geschmack. Alles kommt von kleinen Parzellen. Das gibt den Weinen viel Heterogenität.“ Sandra selbst besitzt und pachtet Parzellen in zwei verschiedenen Lagen: Villabuena und Rivas de Tereso.

Die aktuellen Jahrgänge
2023 Sierra de Toloño blanco
O-Ton Sandra Bravo: „Ich bin superzufrieden damit.“ Die Trauben wurden etwas früher gelesen, damit erhält der Wein mehr Frische und weniger Alkohol. Der Rebschnitt erfolgte sehr spät, um die Trauben länger durch das Blattwerk zu schützen. Sehr schön aromatische Säure, dabei eine klare, mineralische Struktur mit viel Frische und leichter Salzigkeit.

2023 Nahikun blanco
90 – 95-jährige Reben, Calagraño, Rojal, Viura und Malvasia, von verschiedenen Parzellen um den Ort Villabuena. Noch verschlossen in der Nase, feine Säure mit schöner Fülle und Komplexität. Aromatisch, feine Frucht, lang und geschmeidig.

2022 Sierra de Toloño tinto
Sandra Bravo: „Von den Reben auf 650 Metern kommen die Frische und die Noten von mediterranen Kräutern. Es ist die herausforderndste Ernte. Die anderen Parzellen sind kleiner und können nach und nach geerntet werden. Aber beim Sierra de Toloño muss es genau der richtige Moment sein.” Kräutrig-würzig mit sanften Tanninen, viel Frucht, aber klar und mineralisch. Sehr frisch.

2022 La Dula Garnachas de Altura
Sehr alte Garnacha-Reben, acht Monate in Amphoren gereift. Florale Noten, feine, hellrote Frucht, seidige Tannine, lange Würze. Sehr balanciert.

2022 Raposo
Stammt von tieferen Lagen im Tal, lagert zwölf Monate im großen Holz. Kräftig, dicht, dunkelrote Frucht, trotzdem schöne Mineralität, griffige Tannine.

2022 Nahikun tinto
„Die Ernte war sehr gering, etwa 200 Gramm pro Rebe. Aber die Qualität ist klasse.“ 90 – 95-jährige Reben, Tempranillo, Graziano, Garnacha und Mazuela aus Villabuena. Gereift in Barriques und Amphoren. Sehr spannende Würze, dunkelrote Frucht, schön eingebundene, seidige Tannine, harmonisch, strukturiert. Dicht, aber nicht wuchtig.

2023 Rosado
Der Rosado wird seit 2020 hergestellt, die Trauben stammen aus den kühlsten Lagen, die sehr spät reifen. Hellrote Früchte, dabei mineralisch und würzig, frisch mit einem Anflug von Süße. Unaufdringlicher, klarer Rosé.

Zu den Weinen von Sandra Bravo …

Von Jessica Dueñas