Saumur Champigny l Wie der Cabernet Franc auf die Überholspur kam

Dünne, saure Weinchen mit grüne-Paprika-Aroma?

Das war einmal. Heute zählen die Cabernet Francs von der Loire zu den großen Roten Frankreichs. Clos Rougeard in Saumur Champigny hat Anfang der neunziger Jahre eine Erfolgswelle losgetreten, auf der noch heute die Rotweinerzeuger der Loire surfen.

Als sich im Jahr 1993 Journalisten, Sommeliers und andere Weinexperten aus Paris trafen, um in einer Blindprobe den besten Saint-Emilion des herausragenden Jahrgangs 1990 zu küren, ahnte keiner, dass dies die Geburtsstunde einer Legende werden sollte. Außer vielleicht Ma Poule, der in Wirklichkeit Philippe Noyé heißt. Ma Poule, angesehener Weinagent und Entdecker vieler heute legendärer Produzenten ist ein Urgestein der Pariser Wein- und Gastronomieszene.
Ma Poule besaß jedenfalls die Chuzpe, einen weitgehend unbekannten Rotwein von der Loire unter das Beste vom Besten zu schmuggeln, was Bordeaux im sagenhaften Jahrgang 1990 zu bieten hatte. Sie ahnen schon: es konnte für den Wolf im Schafspelz nicht anders kommen, als ganz locker auf Platz eins zu landen. Ein überraschender Kopfstoß aus dem önologischen Nichts, der die Hirten der hoch bepreisten Bordeauxherde mächtig ins Taumeln brachte. Für die anwesenden Journalisten war das ein gefundenes Fressen. Deshalb konnte man ziemlich flott überall lesen, dass ein gewisser Le Bourg von Clos Rougeard dermaßen durch die Probe galoppierte, dass selbst der Gigant Château Cheval Blanc nur noch hinterherhecheln konnte.

Clos Rougeard – Monument im Wandel
Clos wer? Die Sommeliers des berühmten Restaurants La Tour d’Argent, schräg gegenüber der Kathedrale Notre Dame, kannten das Weingut schon lange als herausragenden Erzeuger feinster Gewächse. Dort hortet man seit Jahrzehnten die Kostbarkeiten der Familie Foucault. Aber sonst? Praktisch niemand. Außer denjenigen, die dem sonderbaren Ma Poule damals schon Vertrauen schenkten. Heute sind es viele, aber wer wollte in den Hochzeiten der Industrieweine einem Typen glauben, der Jacques Selosse für einen herausragenden Champagerproduzenten hielt?

Bei Clos Rougeard handelt es sich um ein Monument der französischen Weingeschichte. 1993 war die achte Generation der Familie Foucault am Ruder. Die Brüder Charly und Nady waren leider auch die letzten Foucaults als Besitzer des Clos Rougeard.
300 Jahre Familientradition. Immer dieselben 10 Hektar Reben in besten Lagen, denen niemals eine chemisch-synthetische Behandlung zugemutet wurde. Wo gibt es so etwas sonst noch?
Ein hollywoodreifer Familienzwist, mit beachtlicher Hingabe über mehr als 30 Jahre lang gepflegt, führte schließlich nach Charlys Tod zum Verkauf des Anwesens an ein weit weniger sympathisches Brüderpaar: die Telekommagnaten Bouygues. Was danach passierte, wollen wir lieber verschweigen.

Das Foucault’sche Pendel im Pariser Panthéon ist ausreichend bekannt. Keine Ahnung, ob eine Verwandtschaft zwischen Wissenschaftler Foucault und der Weinbaufamilie besteht.
Wer aber je die beiden Foucault’schen Sturköpfe als stolze Weinbauern mit 300 Jahren Familiengeschichte im Rücken erlebt hat, fühlt sich an das gigantische Pendel erinnert, das in ruhigen Bahnen die Erdbewegung anzeigt. Die Foucaults traten immer großzügig, entschlossen, keinen Widerspruch duldend auf und erzeugten permanent große Weine. Manchen Leuten flößten die Foucaults allein durch ihre Präsenz Furcht ein, aber den auf ihrer Wellenlänge schwingenden Menschen strahlten sie hinreißende Liebenswürdigkeit, Hilfsbereitschaft und Kumpelhaftigkeit aus. Diese magische Cuvée hat schließlich eine ganze Gegend in Gärung gebracht.

Thierry Germain – ein Bordelaiser UFO landet in Saumur
Unser Freund Thierry flüchtete ungefähr neunzehnhundertneunundachtzig aus seiner Familie, der bordelaiser Weindynastie Germain, an die Loire. Schnauze voll vom Establishment! Aber was machte Thierry in seinen ersten Jahren in der renommierten aber ziemlich heruntergekommenen Domaine des Roches Neuves? Tiefdunkle Rotweine, ausgebaut in hundertprozent neuem Holz mit Tanninen, die einem in nullkomanix den Mund austrockneten. Astreine Bordeauxkarrikaturen aus der Herzkammer der Loire. Vielleicht war genau dies der Anlass für den inzwischen berühmten Zeichner Michel Tolmer, Thierrys Etiketten bis heute zu gestalten?
Aber Thierry hatte noch ein paar andere glückliche Händchen. Erstens schaffte er es mit bordelaiser Überzeugungstalent und außergewöhnlicher Eloquenz in Verbindung mit einer ordentlichen Portion Empathie, seine Weine gut zu verkaufen. Zweitens angelte er sich einen Goldfisch namens Michel Chevré als Partner. Michel, als Thierrys Gegenentwurf die Bescheidenheit in Person, ist ein begnadeter Winzer, der sein Handwerk im Stillen verrichtet. Vermutlich wurde er genau deswegen nie als Thierrys Partner, sondern stets als Angestellter wahrgenommen.
Thierry irrlichterte jedenfalls noch eine Weile herum, bis ihn Charly Foucault väterlich zur Seite nahm, um ihm zu zeigen, wo der Bartel den Most holt. Das hatte Thierry ziemlich schnell begriffen und wenn wir den Zeitraffer einschalten, sind wir auch gleich bei den Privataudienzen mit dem Papst des biologisch dynamischen Weinbaus. Damit ist nicht der abstinente Weingutsbesitzer aus Savennières gemeint, sondern François Bouchet, der als Druide unter Winzern enorm beliebt war. Jedenfalls war Thierrys Reifeprüfung bei Bouchet das stundenlange Anstarren einer Rebe mit anschließender Berichterstattung. Charlys Coaching dazu bestand im Prinzip nur aus einer Empfehlung: bloß keinen Bullshit erzählen! Das hatte sich Thierry gut gemerkt, wurde gnädig von Bouchet aufgenommen und hat 2004 die Zertifizierung als biologisch dynamisches Weingut erhalten.
Den endgültigen Durchbruch zum großen Winzer haben aber nicht die inzwischen allgegenwärtigen Arbeitspferde in der Domaine gebracht, sondern ausgerechnet eine schwere Krankheit. Es muss 2017 gewesen sein. Thierry war überzeugt, dass dies sein letzter Jahrgang sei und er hatte beschlossen, alles nach Gefühl zu machen, die Önologie beiseite zu lassen und nur dem inneren Kompass zu folgen. Seine letzten Weine sollten voll und ganz Ausdruck seiner Persönlichkeit werden. Diese Befreiung, kurz vor dem vermeintlichen Ende hat uns einen der größten Winzer der Loire beschert. Thierry ist übrigens vollständig genesen und wird uns, auch wenn inzwischen sein Sohn übernommen hat, noch lange begleiten.

Domaine des Closiers – späte Berufung
Anatole de la Brosse stammt aus Epernay und wollte schon immer Winzer werden. Irgendwie kamen Studium und eine sehr erfolgreiche Karriere als Unternehmensberater dazwischen. Diese Zeit hat Anatole genutzt, viele große Weine zu trinken, Weingüter zu besuchen und sich so zum Experten für feine Weine zu machen. Sein feines Näschen hat ihn auf ein exzellentes Terroir im Dorf Parnay bei Saumur gestoßen, welches ihn anflehte, es nun endlich in Besitz zu nehmen. So befreite Anatole die Domaine des Closiers vom Joch einer industriellen Landwirtschaft, um 2019 seine erste Ernte einzufahren.

Zuvor hat Anatole eine komplette Winzerausbildung absolviert und sitzt nun viel öfter auf dem Traktor als am Schreibtisch. Natürlich wurde die gesamte Fläche sofort auf biologischen Weinbau umgestellt und im wunderschönen Kreidetuffkeller sind jetzt minimalinvasive Methoden Trumpf.
Von Anfang an betraten zwei alte Bekannte das Parkett in der Domaine des Closiers: Nady Foucault und Michel Chevré.
Während Michel die Domaine vollumfänglich in Sachen Weinbau und Keller berät, macht Nady seine alten Kumpels auf das neue Kleinod aufmerksam. Allen voran Ma Poule und Kreis. Inzwischen haben die Gastronomen in Paris gelernt, das sie schön blöd sind, wenn sie Ma Poule nicht glauben und kaufen deshalb Domaine des Closiers seit dem ersten Jahrgang. Wir wollten erstmal die Pandemie durchstehen und sind seit 2023 an Bord.

Das wunderschöne Anwesen wurde inzwischen architektonisch von unserem Freund Hervé Dupuis auf Vordermann gebracht und es gibt einen wunderbaren Gutsausschank.
Dies ist, im Gegensatz zum Clos Rougeard und zu Thierry Germain, eine neue Geschichte, der wir eine große Zukunft prophezeien, denn die Weine sprechen für sich.
Das unmittelbar an der Loire gelegene Terroir von Parnay bringt nämlich außerordentlich delikate Gewächse hervor, die einerseits vom ausgleichenden Einfluss der Loire und andererseits vom mineralreichen Kreidetuff mit seinem idealen Grundwassermanagement profitieren.

Einfühlsame Vinifikation und behutsamer Ausbau in den imposanten Kreidetuffkellern tun ihr Übriges.
Wir sind sicher, dass Anatoles Weine mit ihrer einzigartigen Finesse schon bald zu den gesuchten Raritäten der Loire zählen werden.

Aus dem Nähkästchen geplaudert von Bernd Kreis