Weinbau mitten in der Stadt
Kilian Kreis hat den Weinberg seines Vaters am Scharrenberg mitten in Stuttgart übernommen. Auf nicht einmal einem Hektar wächst dort Cabernet Franc und Sauvignon die steilen Lagen werden nachhaltig bearbeitet. Hier erzählt Kilian, wie es dazu kam und was er am Scharrenberg zukünftig vorhat.
Weinhandlung Kreis: Seit wann habt ihr den Weinberg am Scharrenberg?
Kilian Kreis: Den Weinberg bewirtschaften wir seit Mitte der 90er-Jahre. Anfänglich war es ein Projekt meines Vaters gemeinsam mit dem Restaurant Wielandshöhe, das sich in unmittelbarer Nähe des Scharrenbergs befindet. Irgendwann hat mein Vater, der dort als Sommelier gearbeitet hat, das Projekt komplett übernommen. Damals wurde der Wein noch bei den dortigen Weingärtnern in Degerloch ausgebaut.
Gert Aldinger, der damals schon Lieferant für die Weinhandlung Kreis war, hat eine Flasche vom Trollinger probiert und fand ihn nicht so gut. Er hat vorgeschlagen, dass er den Wein machen könnte. Dadurch ist die Verbindung zum Weingut entstanden, die jetzt immer noch besteht. Wir produzieren die Trauben und bringen sie ins Weingut. Aldingers machen den Wein in der Zwischenzeit dann nach unseren Vorstellungen.
WK: Was gibt es zum Scharrenberg zu erzählen?
K.K.: Die Innenstadt Stuttgarts liegt in einem Talkessel. Von dort aus führen Steilhänge hoch auf die Ebene. Der Scharrenberg ist eine Hanglage in Stuttgart Degerloch. Auf der fruchtbaren Ebene gibt es kleine Dörfer und viel Feldlandwirtschaft. Damit die Hänge auch noch landwirtschaftlich genutzt werden konnten, hat man eben Wein gepflanzt.
WK: Kannst du die Scharrenberger Lage etwas detaillierter erklären?
K.K.: Der Hang ist hauptsächlich gegen Süden ausgerichtet, neigt sich im oberen Teil nach Osten und unten nach Westen. Es sind über 70 Meter Höhenunterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Weinberg. In der Talsohle ist es kühler. Dort wird auch Obstbau betrieben. Am Rand stehen meist größere Nuss- oder Kirschbäume. Das bedeutet viel Schatten. Der Rest vom Berg ist den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt. Durch die Terrassierung mit Trockensteinmauern hält sich die Temperatur gut. Das heißt, im Sommer gibt es Temperaturen von bis zu 40 Grad. Der Scharrenberg hat Mergelböden. Je Höhe ist auch ein bisschen Sand dabei, da der Untergrund aus Sandstein besteht.
WK: Welche Rebsorten baut ihr an?
K.K.: Die liebste Weinregion meines Vaters ist die Loire. Die rote Leitrebsorte dort ist der Cabernet Franc. Das passt auch bei uns vom Boden und vom Klima her, daher hat er sie seit Ende der 90er angepflanzt. Es war damals sehr schwierig, Pflanzrechte und Pflanzgut zu bekommen. Mit dem Sauvignon, einer sehr wichtigen Sorte an der Loire, war das deutlich einfacher. Mit beiden Rebsorten gehören wir zu den Pionieren in Württemberg.
WK: Seit wann bist du für den Weinberg verantwortlich?
K.K.: Ich kümmere mich seit 2021 um den Weinberg. Wir mussten allerdings auch früher schon immer mithelfen. Während die anderen Kinder am Samstag auf dem Bolzplatz waren… Das hat keinen Spaß gemacht. Mittlerweile ist das anders: Mir macht‘s wirklich Spaß, auch wenn es harte Arbeit bedeutet.
WK: Bist du ausgebildeter Winzer oder Autodidakt?
K.K.: Also, ganz Autodidakt bin ich nicht. Durch die lange Mitarbeit im Weinberg habe ich natürlich was gelernt. Mein Vater ist mehr oder weniger Autodidakt und natürlich machen wir nicht alles richtig. Aber durch den Weinladen haben wir sehr gute Verbindungen zu vielen Winzern. Das heißt, wenn man Fragen hat, ist die Antwort oft nur einen Anruf entfernt. Das ist schon ziemlich cool.
WK: Welche Art von Weinbau betreibt Ihr?
K.K.: Wir arbeiten naturnah und benutzen nur für den biologischen Anbau zugelassene Pflanzenschutzmittel. Aber wir sind nicht zertifiziert, der Aufwand lohnt sich bei den geringen Mengen nicht. Es ist ja nur knapp ein Viertel Hektar.
Wir spritzen Schwefel, Backpulver und Kupfer. Zusätzlich machen wir zur Stärkung der Reben noch Aufgüsse oder Pflanzentees, zum Beispiel aus Schachtelhalm, Weide, Rinde oder Brennnessel. Diese Mittel haben schützende und teilweise auch fungizide Wirkung.
WK: Wie hoch ist der Arbeitsaufwand im Jahr?
K.K.: Ich arbeite mindestens einen Tag pro Woche im Weinberg. Der Arbeitsaufwand ist natürlich stark Jahreszeitenabhängig. Im Winter bin ich vielleicht einen Tag im Monat draußen. Ich schneide erst im Februar oder März. Je später man den Rebschnitt macht, desto weiter zögert man den Austrieb hinaus, wodurch die Gefahr durch Spätfrost geringer wird. Im Frühjahr und Sommer müssen Pflanzenschutz und Laubarbeiten gemacht werden. Das sind es dann auch mal zwei Tage pro Woche.
WK: Wenn ihr so naturnah arbeitet, leben trotz der Stadtnähe bestimmt auch einige Tiere im Weinberg …
K.K.: Oh, ganz, ganz viele. Die größten sind Mäusebussarde und Rotmilane. Sie kreisen überm Weinberg. Es gibt Falken und viele Krähen. Stare haben wir nicht so gern, da sie im Herbst gern mal den Weinberg abernten. Es gibt auch viele kleine Vögel, Zaunkönige, Blaumeisen oder Schwanzmeisen, die in Deutschland relativ selten sind. Wir haben Hasen, Kaninchen, Füchse und Marder. Durch die Trockenmauern gibt es verschiedenste Eidechsen und Blindschleichen. Ich habe auch schon Erdkröten und Frösche gesehen. Und riesige Heupferde. Wir haben eine sehr große Biodiversität im Weinberg.
WK: Hast du den Eindruck, du lebst mehr im Einklang mit der Natur, wenn du im Weinberg bist?
K.K.: Mich inspiriert die Natur. Auch wenn der Weinberg genau genommen eine Monokultur ist und keine Natur. Ich lasse das Gras meistens relativ hoch stehen, das heißt, ich habe immer Blumen und es summt überall. Das finde ich megacool. Dadurch, dass ich den Weinberg bewirtschafte, bleibt ein Stück Kulturlandschaft erhalten. Der Hang bietet eine schöne Aussicht und wäre ein toller Platz für teure Häuser. Solange ich die Weinberge bewirtschafte, werden keine Häuser gebaut. Das bedeutet mehr Grün in der Stadt und bessere Luft.
WK: Wo möchtest du hin? Was ist Dein Ziel?
K.K.: Ich möchte vor allem Wein produzieren, der nicht nur mir Spaß macht, sondern auch meinen Freunden. Da wir die ungefähr 900 Flaschen nicht alle selbst trinken können, muss ich ein bisschen was verkaufen. Den Leuten, die den Wein im Glas haben, sollte er möglichst auch schmecken.
WK: Was gibt es zur Weinbereitung zu sagen?
K.K.: Die Weinbereitung findet bei Aldingers statt. Mein Vater und ich verfolgen den gleichen Ansatz. Wir mögen beide minimalinvasive Weine. Das heißt, außer Trauben kommt nichts in die Flasche. Nach dem Pressen kommen die Weine ins Holzfass und bleiben dort so lange, bis sie biologisch und chemisch stabil sind. Beim Füllen geben wir dann nur noch ein kleines bisschen Schwefel zu, damit sich der Wein in der Flasche auch so hält.
WK: Bist du in den Weinbereitungsprozess involviert?
K.K.: Eigentlich nur wenig. Wir besprechen kurz die Vorgehensweise, wenn ich die Trauben abgebe. Aldingers wissen, dass wir keinen Holzgeschmack wollen, daher werden immer nur gebrauchte Fässer benutzt, meistens Dritt- oder Viertbelegung. Die Trauben werden direkt gepresst, bleiben etwas auf der Presse liegen oder werden mit dem Fuß gestampft. Danach wird der Wein grob abgezogen. Nach einer Nacht im Tank hat sich ein Großteil der Trubstoffe abgesetzt. Der beinahe klare Most kommt dann ins Holzfass. Dort gärt und lagert er bis zur Füllung. Natürlich wird der Wein regelmäßig verkostet. Und falls ein Eingriff ansteht, bekomme ich einen Anruf von der Familie Aldinger.
WK: Wie ist der neue Jahrgang?
K.K.: Die Weine schmecken ein bisschen anders als in den Vorjahren. Beim 22er-Jahrgang habe ich im Sommer die Trauben freigestellt, als mehr Regen angekündigt war. Das heißt, die Blätter in der Nähe der Trauben entfernt … Dadurch wird die Traubenzone besser belüftet und trocknet nach Niederschlägen schneller ab. So gibt es weniger Fäulnis und Pilzkrankheiten. Die stärkere Sonneneinstrahlung beeinflusst aber natürlich die Reife. Der Sauvignon ist etwas kräftiger, mit einem breiteren Kreuz. Man merkt trotzdem ganz deutlich die DNA vom Scharrenberg und unseren Klonen. Es ist ein sehr salziger Wein, der geht nicht ins tropisch Fruchtige, auch wenn er 14 Umdrehungen hat. Der Cabernet Franc ist etwas wilder als sonst. Ein Kollege sagt, er schmeckt fast ein bisschen nach Naturwein. Schwer zu sagen, wie er sich entwickelt, er bleibt noch bis Herbst oder Winter im Fass. Den Sauvignon gibt es ab September.
WK: Danke! Wir sind sehr gespannt auf die Weine.